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ästhetisches dasein

Perspektiven einer performativen und pragmatischen Kultur im öffentlichen Raum

Perspektiven einer performativen und pragmatischen Kultur im öffentlichen Raum
Veranstaltung mit Beate Katz, Jan Timme, Rahel Puffert, Ulf Treger, Perangelo Maset, Michael Lingner, Michaela Müller

Der Schlüssel liegt beim Pförtner
Praxis, Baby: Die Autoren des Sammelbandes "ästhetisches dasein" möchten die Avantgardekunst in den öffentlichen Raum holen

Gestus und Geist der bisherigen Avantgardekunst erscheinen heute
lebensfeindlich. Es ist unübersehbar, dass die egomanischen Weisen
ihrer Hervorbringung sich im Extremen, Exzessiven, Absurden,
Provokanten und Paradoxen erschöpft haben oder aber in der Postmoderne
nur zu extravagantem Dekor, bizarrem Nonsens oder narzisstischen
Kuriositäten geführt haben.
Michael Lingner, Hubert Sowa und Pierangelo Maset haben ein Buch mit
dem Titel "ästhetisches dasein" herausgegeben, das den
Bewegungsrichtungen eines neuen Kunstbegriffs nachzugehen versucht. Im
Zentrum steht dabei der Raum k23, ein öffentlicher Projektraum in der
Hamburger Hochschule für Bildende Künste. Das Buch gewährt Einblicke in
"die Krise, Kritik und Transformation des Autonomiekonzepts moderner
Kunst" (Lingner), in "das praktische Situationsverständnis und die
ästhetische Einstellung" (Sowa) und in "die Topologie des Lehrens und
Lernens" (Behrens). Zusätzlich gibt es eine Reflexion über die
Kunsthochschule als "Raum und Gegenstand künstlerischer Arbeit"
(Puffert) und im Anschluss daran einen Werkbericht von Pierangelo Maset
zu seiner Arbeit "Der Schlüssel zum Raum k23 liegt beim Pförtner".
Alle Texte sind als Kritik an den momentanen Zuständen zu verstehen, in
denen Künstler heute arbeiten. Die Autoren legen - ausgehend von der
Loslösung vom traditionellen Postulat der Werkautonomie - den
Schwerpunkt auf Praxis, die an die Stelle eines Poiesis-Begriffs
getreten sei. Und dies zu Recht. Unter den gegebenen Voraussetzungen -
das 19.-Jahrhundert-Privileg der Professoren auf ein eigenes Atelier
samt eigener Lehre, die herrschende Vorstellung von "autonomer" Kunst
angesichts ihrer kommerziellen und ideologischen Verwertung, der
Verlust von Gemeinsinn, die Notwendigkeit einer Umgebung von
Transparenz und Teilhabe - lassen sich Forderungen ableiten, die ein
eigenständiges Konzept zu einer pragmatisch-performativen Kunst
entwickeln.
Dabei muss man allerdings beachten, dass die programmatische Öffnung
des avantgardistischen Werkkonzepts hin zu Formen von Design,
Gebrauchskunst und praktisch-performativen Lebensformen wiederum
Probleme schafft - etwa mit Fragen zu herkömmlichen
Präsentationszwecken, Rezeptions-, Kommunikations- und Handlungsformen.
Aber auch in Bezug auf die Vorstellung von Raum als unmittelbarem
Arbeits- und Lebensraum.
Die Perspektiven einer performativen und pragmatischen Kultur im
öffentlichen Raum sind politischer Natur, auch wenn sich das im Buch
nicht so konkret darstellt. Wie sich anhand der Texte zeigt, sind die
Bedingungen und Alternativen der künstlerischen Praxis sehr genau
beleuchtet worden. Die Entwicklung eines öffentlichen Arbeitsraums war
eine Entscheidung für eine zeitgemäße Kunstpraxis.
Das Buch "ästhetisches dasein" definiert ein Crossover, das sein Glück
in der inhaltlichen Auseinandersetzung sucht und nicht in der Präsenz
von zeitgeistigen Sensationen. Und dies sollte man sich erhalten, wenn
man - wie es Maset ausführt - Kunst als die einzige Institution
begreifen kann, in der man sich noch nichtinstrumentell über Fragen von
Politik, Ethik und Gesellschaft auseinandersetzen kann.
Ulrich Schötker
taz Berlin lokal, Nr. 6117 vom 12.4.2000, Seite 23, Kultur, 112 Zeilen