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Deutschland hysterisieren - Fassbinder, Alexanderplatz

Buchpräsentation mit Manfred Hermes und David Weber

Die TV-Serie „Berlin Alexanderplatz“ nimmt in Fassbinders Werk eine zentrale Stellung ein, sie umkreist eine Menge großer Themen: Problematik der geschlechtlichen Position, Mitwelt der Tiere, Rolle der Medien, Psychiatrie und Sozialstaat, Frage nach Herrschaft, Schicksal und Freiheit. Selbst die Empirie von 1929 wirkt heute nachvollziehbarer als sie es 1980 sein konnten: Krise von Parlamentarismus und Sozialstaat, hohe Arbeitslosigkeit, organisierte Kriminalität als Wirtschaftsfaktor.
 Das wiederholende Erzählen von Döblins Erzählen, der Nachvollzug eines anderen Denkens waren Fassbinders primäre künstlerische Akte. Döblin hatte Fassbinder einen weitreichenden Symbolismus vorgegeben: die Zerstörung persönlicher Souveränität durch mehrfache Traumatisierung, der Eintritt in die symbolische Ordnung per Kastration. Daher spielt „Alexanderplatz“ die Hiob-Erzählung als psychoanalytisches Mysterienspiel durch. Die Hauptfigur gibt darin den Hysteriker. Der Hysteriker zweifelt seiner geschlechtlichen Integrität und fragt: Bin ich ein Mann oder eine Frau? Diesem Zusammenhang hat Fassbinder eine geschichtliche Dimension unterlegt, die von Döblin unabhängig war. Das ermöglichte ihm dann auch, sich dem Nationalsozialismus als dem größten narzisstischen Übertritt der neueren Geschichte zu nähern.
 Den Erzähltext eines anderen Autors in dieser Weise verwendet zu haben, bedeutet aber auch, dass die vom Wort ‚Literaturverfilmung’ ausgelösten Reflexe ins Leere laufen. An keinem Punkt ist die filmische Vermittlung von ihrer Vorlage zu trennen. Ebensowenig wie Döblin ‚Literatur’ produzieren wollte, ist Fassbinders Version nur ein ‚Film’. Trotz ihrer beachtlichen Wucht und Weitschweifigkeit liegt der Schwerpunkt dieser TV-Serie außerhalb ihrer werkförmigen oder medialen Masse.
„Deutschland hysterisieren“ fragt in essayistischer Form, wie und wodurch ein gegebenes Kunstwerk denkt, und wozu.