Jungfrau
Läßt sich erotische Annäherung auch im Sinn einer Asymptote vollziehen? Lothar erforscht das gemeinsame Werk des Theologen Hans Urs von Balthasar und seiner legendären Amica, der Ärztin und Mystikerin Adrienne von Speyr. Er glaubt sich einem unglaublichen Liebesdrama auf der Spur. Und Lothar selbst, ein von den Theaterwissenschaften zur katholischen Theologie sowie zu sexueller Enthaltsamkeit konvertierter Student, gerät zunehmend in Gewissenskonflikte mit seiner hoch und heilig gelobten Haltung: Das Charisma der Klavierspielerin Mary Lou stellt ihn vor Versuchung und Versagung.
Wie in Tomboy entwickelt das Diskursnetz in Jungfrau ein burleskes Eigenleben. Hollywoods B-Film-Ikone Maria Montez sowie ihr Wiedergänger Mario Montez sind darin ebenso verstrickt wie Clemens Brentano, der jahrelang Visionen einer stigmatisierten Nonne protokollierte, Ronald Tavel, Begründer des Theatre of the Ridiculous, der Camp-Filmer Jack Smith oder die Jazzpianistin Jutta Hipp.
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Plots sind bei Thomas Meinecke Nebensache. Auch sein neues Buch läuft zwar offiziell als Roman, doch eigentlich hat der Popkulturkenner, Musiker und DJ für "Jungfrau" mindestens 50 hochkomplexe Essays ineinander gedreht. Meineckes Protagonisten studieren, zitieren, diskutieren zwischen Gendertheorie, Sprachwissenschaft, Camp und unnützem Wissen. Da ist die Studentin Jeannine Waterstradt und ihr Interesse für die B-Movie-Ikone Maria Montez und deren Wiedergänger, den im Warhol-Umfeld verhafteten Mario Montez. Vor allem aber ist da ihr Exfreund und jetzt bester Freund Lothar Lothar, der von den Theaterwissenschaften zur katholischen Theologie konvertiert ist. Weil er sich selbst sexuelle Enthaltsamkeit vorgenommen hat, erforscht Lothar das gemeinsame Werk des Theologen Hans Urs von Balthasar und der Ärztin und Mystikerin Adrienne von Speyr. Doch seine Enthaltsamkeit wird auf eine harte Probe gestellt, als er die schöne Jazzpianistin Mary Lou kennen lernt. Auch wenn der durchschnittliche Leser höchstens die Hälfte von Meineckes hochintelligenten bis korinthenkackerigen Anspielungen versteht, spannend ist es allemal, wie er die abseitigsten Themen in popkulturelle Diskussionen überführt. Und selbst der vernachlässigte Plot funktioniert: Ob am Ende doch was zwischen Lothar und Mary Lou geht?