Direkt zum Inhalt

Warenkorb

  • Murray Shanahan

    Die technologische Singularität

  • Nicolas Bourriaud

    Exform

  • Philip Kurz (Hg.)

    Meisterhaus Kandinsky Klee. Die Geschichte einer…

  • Beatrice von Bismarck, Benjamin Meyer-…

    Curatorial Thing (Cultures of the Curatorial 4)

  • Louise Michel

    Die Pariser Commune

  • Xiaowen Zhu

    Oriental Silk

  • Sebastian Schipper, Lisa Vollmer (Hg.)

    Wohnungsforschung. Ein Reader

  • Sally Stein, Ina Steiner (eds.)

    Allan Sekula, Art Isn't Fair: Further Essays on the…

  • Tim Jordan

    The Digital Economy

  • Juliane Rebentisch

    Camp Materialism

  • Andrea Büttner

    Shame

  • Amelie Von Wulffen

    Collected Comics 2010-2020

  • Benjamin Fellmann, Bettina Steinbrügge…

    Klassenverhältnisse. Phantoms of Perception

  • Itohan Osayimwese

    Colonialism and Modern Architecture in Germany

  • Sharon Zukin

    The Innovation Complex. Cities, Tech, and the New Economy

  • Sebastian Strombach

    Verrückt. Der Comic zum Berliner Schloss

  • Hg von Erika Thümmel, FH JOANNEUM…

    Die Sprache der Räume. Eine Geschichte der Szenografie

  • Stephan Trüby

    Rechte Räume: Politische Essays und Gespräche (Bauwelt…

  • Malcolm James

    Sonic Intimacy. Reggae Sound Systems, Jungle Pirate Radio…

  • AAPK – Suyoung Ko, Yeon Joo Oh, Soonam…

    Architecture as Fabulated Reality

  • Anna Bokov

    Avant-Garde as Method. Vkhutemas and the Pedagogy of Space…

  • Günter Karl Bose

    Elementum. Über Typografie, Bücher und Buchstaben

  • Lorenzo Marsili

    Planetary Politics. A Manifesto

  • Miriam Rasch (ed.)

    Let’s Get Physical: A Sample of INC Longforms, 2015-2020

  • Cache

    Gegen|Wissen. Cache 01

  • Angelika Fitz, Karoline Mayer,…

    Boden für Alle

  • Baukultur NRW, Christoph Grafe, Tim…

    Umbaukultur. Für eine Architektur des Veränderns

  • Silvia Benedito

    Atmosphere Anatomies. On Design, Weather, and Sensation

  • Jan Reetze

    Times & Sounds. Germany's Journey from Jazz and…

  • Frieder Butzmann

    Wunderschöne Rückkopplungen

  • Ludger Hovestadt, Urs Hirschberg,…

    Atlas of Digital Architecture.Terminology, Concepts,…

  • Kristin Feireiss, Hans-Jürgen Commerell…

    The Songyang Story. Architectural Acupuncture as Driver for…

  • Zairong Xiang (Hg.)

    minor cosmopolitan. Thinking Art, Politics, and the…

  • Bruce Clarke

    Gaian System. Lynn Margulis, Neocybernetics, and the End of…

  • Oliver Fahle

    Theorien des Dokumentarfilms zur Einführung

  • Vincent Liegey, Anitra Nelson

    Exploring Degrowth. A Critical Guide

  • Michael Youngblood, Benjamin Chesluk

    Rethinking Users. The Design Guide to User Ecosystem…

  • Manfred Sommer

    Stift, Blatt und Kant. Philosophie des Graphismus

  • Aino Laberenz (Hg.)

    Christoph Schlingensiefs Operndorf Afrika

  • Thomas Keenan, Eyal Weizman

    Mengeles Schädel. Kurze Geschichte der forensischen Ästhetik

  • R. A. Judy

    Sentient Flesh Thinking in Disorder, Poiesis in Black

  • Anne Waldschmidt

    Disability Studies zur Einführung

  • Ulrich Pfisterer

    Kunstgeschichte zur Einführung

  • Ernst Müller, Falko Schmieder

    Begriffsgeschichte zur Einführung

  • Bädicker, Klaus

    Sofort Abreissen! 1984 - 1994. Von der Wohnungsmisere in…

  • Butler, Judith

    Die Macht der Gewaltlosigkeit - Über das Ethische im…

  • Gerald Siegmund

    Theater- und Tanzperformance zur Einführung

  • Veronika Kracher

    Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults

  • Susanne Kaiser

    Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und…

  • Vereinigung der Landesdenkmalpfleger (…

    wohnen 60 70 80. Junge Denkmäler in Deutschland

  • Beckh, Ruiz-Funes, Ludwig et al. (Hg.)

    Candela, Isler, Müther. Positions on Shell Construction

  • Marius Töpfer, Rebecca Wall

    Everyday Urban Design 6. Planung als Vektor, Skript und…

  • Alexandre Gaiser Fernandes

    Everyday Urban Design 5. Everyday State of Emergency. The…

  • Erin Manning

    For a Pragmatics of the Useless (Thought in the Act)

  • Christine Hannemann, Karin Hauser (Hg.)

    Zusammenhalt braucht Räume. Wohnen integriert

  • Studio Michael Beutler (ed.)

    Michael Beutler. Things in Slices

  • Florian Ebner, Susanne Gaensheimer,…

    Hito Steyerl. I will Survive

  • Johannes Hossfeld Etyang, Joyce Nyairo…

    Ten Cities. Clubbing in Nairobi, Cairo, Kyiv,​ Johannesburg…

  • Eva Maria Froschauer, Werner Lorenz,…

    Vom Wert des Weiterbauens. Konstruktive Lösungen und…

  • Christoph Lueder

    Diagrams: Tropes, Tools, Abstract Machines

  • Julia Bee, Nicole Kandioler (Hg)

    Differenzen und Affirmationen. queer/feministische…

  • Christian Gänshirt

    Werkzeuge für Ideen. Einführung ins architektonische…

  • Helge Oder

    Entwerferische Dinge: Neue Ansätze integrativer Gestaltung…

  • Mette Marie Kallehauge, Lærke Rydal…

    Anupama Kundoo (The Architect’s Studio)

  • Helen Hester

    Xenofeminismus

  • Benjamin H. Bratton, Nicolay Boyadjiev…

    The New Normal

  • Jack Halberstam

    Wild Things. The Disorder of Desire

  • The Care Collective

    Care Manifesto. The Politics of Interdependence

  • Oliver Sukrow

    Arbeit. Wohnen. Computer. Zur Utopie in der bildenden Kunst…

  • Andreas Malm

    Klima|x

  • LAN – Benoit Jallon, Umberto Napolitano…

    Napoli Super Modern

  • Sabel Gavaldon, Manuel Segade (Eds.)

    Elements of Vogue. A Case Study in Radical Performance

  • Mari Laanemets (Ed.)

    Abstraction as an Open Experiment

  • Dorothee Brantz, Avi Sharma (Eds.)

    Urban Resilience in a Global Context. Actors, Narratives,…

  • Eva Barois De Caevel, Koyo Kouoh, Mika…

    On Art History in Africa. Condition Report

  • Amy Sillman

    Faux Pas. Selected Writings and Drawings (Expanded Edition)

  • Richard Zemp

    Bauen als freie Arbeit. Lina Bo Bardi und die Grupo…

  • Christoph F. E. Holzhey, Arnd Wedemeyer

    Weathering. Ecologies of Exposure

  • Luke Wood, Brad Haylock

    One and many mirrors: perspectives on graphic design…

  • John Darlington

    Fake Heritage. Why We Rebuild Monuments

  • Gerhard Steixner, Maria Welzig (Hg)

    Luxus für alle. Meilensteine im europäischen…

  • Rafael Horzon

    Das Neue Buch

  • Sebastian Schels, Olaf Unverzart

    ÉTÉ

  • IDEA Magazine

    IDEA 391. Alternative Reality Design and imagination in…

  • Markus Ritter

    Der Reiz der Vögel seit 1870

  • Daniel Rubinstein

    Fotografie nach der Philosophie. Repräsentationsdämmerung

  • Legacy Russell

    Glitch Feminism. A Manifesto

  • Georg Seeßlen

    Coronakontrolle, oder: Nach der Krise ist vor der…

  • Sasha Geffen

    Glitter Up the Dark. How Pop Music Broke the Binary

  • Natasha A. Kelly

    The Comet - Afrofuturism 2.0

  • Iris Därmann

    Undienlichkeit. Gewaltgeschichte und politische Philosophie

  • Ludger Schwarte

    Denken in Farbe. Zur Epistemologie des Malens

  • Isabell Otto

    Prozess und Zeitordnung. Temporalität unter der Bedingung…

  • Alejandro de la Sota

    In Defence of a Logical Architecture and Other Essays. 2G…

  • Bruno Latour

    Der Berliner Schlüssel

  • Mark W. Rectanus

    Museums Inside Out. Artist Collaborations and New…

  • William O. Gardner

    The Metabolist Imagination. Visions of the City in Postwar…

  • McKenzie Wark

    Sensoria. Thinkers for the Twenty-first Century

Die Alarmbereiten

Sind wir die Helden in einem Katastrophenfilm? In sieben Prosastücken erzählt Kathrin Röggla von der Bedrohung und der Magie einer Welt in Alarmbereitschaft.
Brennende Wälder, fliehende Tiere, Panikeinkäufe. Experten, Schaulustige und Beteiligte stieren auf die Katastrophe. Und fragen sich: "hat man jetzt überlebt?". Entwarnung wird nicht gegeben. Eine Welt im Ausnahmezustand: Finanzkrise, Klimakatastrophe, Entführungsfälle- das Leben wird zum Worst-Case-Szenario. Und dadurch dramatisch. Eine gespenstische Hetzjagd. Oder sind diese Panikszenen eine große Fiktion? Kennen wir diese bedrohlichen Sicherheitslücken, spektakulären Rettungsaktionen und exklusiven Berichterstattungen nicht aus den Filmen des Hollywood-Kinos? Sind wir die Helden in einem Katastrophenfilm? Kathrin Röggla spielt diese Katastrophen-Szenen durch und entlarvt ihre Dramaturgie. In acht Prosastücken erzählt sie von der Bedrohung und der Magie einer Welt in Alarmbereitschaft. Schlau und gewitzt führt sie uns die trügerischen und verführerischen Geschichten unserer panischen Gegenwart vor Augen.
Mehr Magie war nie
Thomas Bernhard im Ohr, Empörung im Herzen: In ihrem neuen Erzählungsband erweist sich die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla als hochmoralische und politische Autorin. Von Nicole Henneberg
Im Internet, dieser Mischung aus gigantischer Müllhalde und allwissendem Archiv, findet sich eine schöne Geschichte zu der alten Volkssage: Wer neugierig den Kopf aus dem Fenster streckt, wenn der wild johlende Gespensterzug vorbeistürmt, dessen Schädel schwillt von dem Getöse an und steckt fest – das ist das Lebensgefühl der melancholischen, ratlosen Figuren in Kathrin Rögglas neuem Erzählungsband „die alarmbereiten“. Sie zerlegt das unaufhörliche Krisen- und Katastrophengerede der Zeitungen, Fernsehkommentare und Talkshows in seine unschuldig wirkenden Einzelteile und fügt sie mit bösem Witz zu einer neuen, künstlichen Sprache zusammen.
So temperamentvolle, wütend reflektierende Monologe, die sich lustvoll und hemmungslos auf die gegenwärtige Sprache einlassen, hat man lange nicht gelesen, vielleicht gar seit Thomas Bernhard und der „Wiener Gruppe“ nicht, mit deren Texten die Österreicherin Kathrin Röggla aufgewachsen ist. Ihre Sätze umschwirren den jeweiligen Gegenstand und schrauben sich, in Wiederholungen, Einschüben und Steigerungen, immer tiefer in die Geschichten von Bankern, Journalisten und Krisenmanagern hinein. Wie Bernhard ist Kathrin Röggla eine Übertreibungskünstlerin, die durch listige Entstellung und feine Akzentverschiebungen die Wirklichkeit erst kenntlich macht: Die Fehler im System werden sichtbar und die kleinen, schmutzigen Geheimnisse, die das Ganze im Inneren zusammenhalten. Denn seine stärkste politische Wirkung entfaltet das anonyme Gemurmel, das uns täglich umgibt, auf der Gefühlsebene, zu der Film- und Fernsehbilder das optische Raster liefern: Auch davon handeln diese Geschichten. „uns umgibt mehr magie als im mittelalter“, schimpft die Erzählerin, denn unser Erfahrungshorizont sei zusammengeschrumpft, „sozusagen auf einen punkt zusammengeschrumpft, der längst verlorengegangen sei im übergroßen horizont der medien“.
Die Geschichten handeln von tragischen und komischen Situationen, und wenn sie einmal loslegen, geben die Redenden keine Ruhe mehr. Sie wollen ihre Zuhörer mundtot machen, werfen ihnen tumbe Ignoranz vor und haben doch vor nichts mehr Angst, als selbst blind und taub zu sein. Dabei wirken diese Figuren, die nur in indirekter Rede und fast immer in der dritten Person sprechen, ganz und gar verloren, als hätten sie kein eigenes Leben und kein noch so bescheidenes soziales Netz. Man spürt die Theaterautorin Kathrin Röggla in den sämtlich bühnentauglichen Szenen und Schein-Dialogen, und wie in Dea Lohers Stück „Diebe“ drängeln und lügen ihre Redekünstler sich in fremde Leben hinein. Sie sind Despoten und Besserwisser; wer von ihnen Erklärungen oder gar Trost erwartet, ist verloren. Die schönste und traurigste Geschichte verschlingt ganz buchstäblich ihre Erzählerin – eine Variante, die sich Bernhards Bühnennörgler nicht hätten träumen lassen: Eine junge Journalistin, die dem Wanderzirkus der Friedensaktivisten hinterherreist, um von den Misserfolgen und Peinlichkeiten ihrer Einsätze zu berichten, löst sich zwischen menschlichen und politischen Anmaßungen auf und wird zum „recherchegespenst“, „das einfach so verlorengegangen (sei) mitten am flughafen von taschkent (...) inmitten der vip-lounge für die businessmen and -women dieser welt“.
Kathrin Röggla ist unübersehbar eine hochmoralische, politische Schriftstellerin, und nach ihrem sarkastischen Berlin-Lagebericht „Irres Wetter“, der statt Glamour eine prekäre Sozialstruktur entdeckt, und dem tieftraurigen McKinsey-Albtraum „wir schlafen nicht“, der alles Privatleben abschafft, prägen die Anschläge vom 11. September 2001 ihre neuen Prosatexte. Die Autorin hat die Katastrophe in New York unmittelbar miterlebt und versucht, in ihrem Tagebuch „really ground zero“ die rhetorischen und audiovisuellen Gesten des amerikanischen Fernsehens kühl zu betrachten – was fast unmöglich ist, weil sie, wie ihre Verfasserin selbst eingesteht, „ständig ins hysterische oder ins chauvinistische, paranoide“ umkippen. Für die Medien ist es letztlich unwichtig, was tatsächlich geschehen ist, deshalb spielen diese Geschichten jenseits der Katastrophe. Wirklich ist nur die Verstörung und Ratlosigkeit der Personen. Es ist ein poetisches und absurdes Kammerspiel, das hier geboten wird, in dem sich die Frage nach richtigem oder falschem Leben gar nicht mehr stellt angesichts der vielen apokalyptischen Bilder, die in unserem Gehirn gespeichert sind.
Nur in einer Geschichte („die wilde jagd“) gibt sich ein reales Ich zu erkennen, ein Entführungsopfer, das aber bezeichnenderweise schweigt. Die Journalisten und Nachbarn werden immer zudringlicher, beschimpfen das Mädchen als aggressiv und behaupten, es terrorisiere die Medien oder wolle gar Amok laufen. Böse und gewitzt spielen sie sich die Bälle zu, erfinden, was ihnen angeblich verschwiegen wird, und bringen mit ihrem Gerede Ungeheuerliches zum Vorschein: Die Zuschauer, nicht die Betroffene, definieren, wo Gewalt anfängt und wann sie aufhört – und sie bestehen auf ihrer Deutungsmacht. Ein traumatisierter Mensch wie Natascha Kampusch (auf deren Fall die Geschichte offensichtlich beruht) hat gegen die Wucht dieser Missachtung keine Chance.
Bis auf „die ansprechbare“, deren Erzählerin unglaubwürdig aufgedreht wirkt, funktionieren diese Erregungsmaschinchen großartig. Denn sie bestehen nicht nur aus Verdächtigungen und kruden Projektionen, sondern auch aus einer fast kindlichen Sehnsucht nach Gewissheit. „hat man jetzt überlebt?“ will eine ratlose Radiohörerin in der letzten Geschichte „deutschlandfunk“ wissen, und als niemand antwortet, fügt sie vorsichtig hinzu: „aber wir lassen uns die freude nicht kaputtmachen, die freude, dass es uns noch gibt.“ (Faz.net)


Kathrin Röggla
Die Alarmbereiten
Fischer, 2010, 978-3100660619