Absolute Gegenwart
Weit verbreitet scheint heute der Eindruck, die eigene Gegenwart sei unfassbar und ein eingreifendes Handeln, das qualitative Veränderungen provoziert, unmöglich geworden. Die Gegenwart stellt sich vielen Zeitgenossen als ein rasanter und beziehungsloser Leerlauf dar, dem Vergangenheit und Zukunft abhandengekommen sind. »Absolut« ist diese Gegenwart aber nicht allein deshalb, da substanzielle Veränderungen in ihr zunehmend undenkbar scheinen, sondern vor allem, weil sie sich als Gleichgültigkeit und Zeitlosigkeit entpuppt. Eine solche Problematik der Gegenwart kann nicht in Fragen von Be- oder Entschleunigung gefasst werden. Sie zeigt sich in Prozessen der Verwaltung, Verhärtung und Automatisierung, in dem Zusammenspiel aus einem allmählichen Verlust der Imaginationskräfte und einem alles umfassenden Leerlaufen der Zeit.
Entwicklungen wie diese schlagen sich zunächst in einer Bedeutungsverschiebung im Begriff der Zukunft nieder: Statt als gesellschaftliche Projektionsfläche von Begehren zu dienen, hat sich »Zukunft« in ein Sammelbecken von Unsicherheit und Angst verwandelt. Mahnung, Askese und (Vor-)Sorge sind die vorherrschenden Formen des gegenwärtigen Zukunftsbezugs. Die jüngsten ökonomischen »Krisen« führten zwar zu einem ungeahnten quantitativen Ausmaß von Protest und Kritik, eine politische Veränderung des Gefüges der Gegenwart zogen sie aber nicht nach sich. Es scheint, als hätten übermäßiges Wissen und distanzierende Kritik für das Subjekt eher eine entlastende Funktion.
Das vorliegende Buch untersucht die Symptome der »absoluten Gegenwart« in den Bereichen Politik, Arbeit, Ökonomie, Popkultur und Gegenwartskunst und zeigt jenseits geläufiger Muster der Kritik die immanenten Brüche und Risse der Gegenwart auf, um zu neuen Artikulations- und Verhaltensweisen zu gelangen.
Mit Beiträgen von: Franco ›Bifo‹ Berardi, Jeanne Bindernagel, Alexander García Düttmann, Mark Fisher, Ralph & Stefan Heidenreich, Michael Hirsch, Marcus Quent, Kerstin Stakemeier, Marcus Steinweg, Jan Völker, Michael Wehren. Herausgegeben von Marcus Quent.