Die Alarmbereiten
Sind wir die Helden in einem Katastrophenfilm? In sieben Prosastücken erzählt Kathrin Röggla von der Bedrohung und der Magie einer Welt in Alarmbereitschaft.
Brennende Wälder, fliehende Tiere, Panikeinkäufe. Experten, Schaulustige und Beteiligte stieren auf die Katastrophe. Und fragen sich: "hat man jetzt überlebt?". Entwarnung wird nicht gegeben. Eine Welt im Ausnahmezustand: Finanzkrise, Klimakatastrophe, Entführungsfälle- das Leben wird zum Worst-Case-Szenario. Und dadurch dramatisch. Eine gespenstische Hetzjagd. Oder sind diese Panikszenen eine große Fiktion? Kennen wir diese bedrohlichen Sicherheitslücken, spektakulären Rettungsaktionen und exklusiven Berichterstattungen nicht aus den Filmen des Hollywood-Kinos? Sind wir die Helden in einem Katastrophenfilm? Kathrin Röggla spielt diese Katastrophen-Szenen durch und entlarvt ihre Dramaturgie. In acht Prosastücken erzählt sie von der Bedrohung und der Magie einer Welt in Alarmbereitschaft. Schlau und gewitzt führt sie uns die trügerischen und verführerischen Geschichten unserer panischen Gegenwart vor Augen.
Mehr Magie war nie
Thomas Bernhard im Ohr, Empörung im Herzen: In ihrem neuen Erzählungsband erweist sich die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla als hochmoralische und politische Autorin. Von Nicole Henneberg
Im Internet, dieser Mischung aus gigantischer Müllhalde und allwissendem Archiv, findet sich eine schöne Geschichte zu der alten Volkssage: Wer neugierig den Kopf aus dem Fenster streckt, wenn der wild johlende Gespensterzug vorbeistürmt, dessen Schädel schwillt von dem Getöse an und steckt fest – das ist das Lebensgefühl der melancholischen, ratlosen Figuren in Kathrin Rögglas neuem Erzählungsband „die alarmbereiten“. Sie zerlegt das unaufhörliche Krisen- und Katastrophengerede der Zeitungen, Fernsehkommentare und Talkshows in seine unschuldig wirkenden Einzelteile und fügt sie mit bösem Witz zu einer neuen, künstlichen Sprache zusammen.
So temperamentvolle, wütend reflektierende Monologe, die sich lustvoll und hemmungslos auf die gegenwärtige Sprache einlassen, hat man lange nicht gelesen, vielleicht gar seit Thomas Bernhard und der „Wiener Gruppe“ nicht, mit deren Texten die Österreicherin Kathrin Röggla aufgewachsen ist. Ihre Sätze umschwirren den jeweiligen Gegenstand und schrauben sich, in Wiederholungen, Einschüben und Steigerungen, immer tiefer in die Geschichten von Bankern, Journalisten und Krisenmanagern hinein. Wie Bernhard ist Kathrin Röggla eine Übertreibungskünstlerin, die durch listige Entstellung und feine Akzentverschiebungen die Wirklichkeit erst kenntlich macht: Die Fehler im System werden sichtbar und die kleinen, schmutzigen Geheimnisse, die das Ganze im Inneren zusammenhalten. Denn seine stärkste politische Wirkung entfaltet das anonyme Gemurmel, das uns täglich umgibt, auf der Gefühlsebene, zu der Film- und Fernsehbilder das optische Raster liefern: Auch davon handeln diese Geschichten. „uns umgibt mehr magie als im mittelalter“, schimpft die Erzählerin, denn unser Erfahrungshorizont sei zusammengeschrumpft, „sozusagen auf einen punkt zusammengeschrumpft, der längst verlorengegangen sei im übergroßen horizont der medien“.
Die Geschichten handeln von tragischen und komischen Situationen, und wenn sie einmal loslegen, geben die Redenden keine Ruhe mehr. Sie wollen ihre Zuhörer mundtot machen, werfen ihnen tumbe Ignoranz vor und haben doch vor nichts mehr Angst, als selbst blind und taub zu sein. Dabei wirken diese Figuren, die nur in indirekter Rede und fast immer in der dritten Person sprechen, ganz und gar verloren, als hätten sie kein eigenes Leben und kein noch so bescheidenes soziales Netz. Man spürt die Theaterautorin Kathrin Röggla in den sämtlich bühnentauglichen Szenen und Schein-Dialogen, und wie in Dea Lohers Stück „Diebe“ drängeln und lügen ihre Redekünstler sich in fremde Leben hinein. Sie sind Despoten und Besserwisser; wer von ihnen Erklärungen oder gar Trost erwartet, ist verloren. Die schönste und traurigste Geschichte verschlingt ganz buchstäblich ihre Erzählerin – eine Variante, die sich Bernhards Bühnennörgler nicht hätten träumen lassen: Eine junge Journalistin, die dem Wanderzirkus der Friedensaktivisten hinterherreist, um von den Misserfolgen und Peinlichkeiten ihrer Einsätze zu berichten, löst sich zwischen menschlichen und politischen Anmaßungen auf und wird zum „recherchegespenst“, „das einfach so verlorengegangen (sei) mitten am flughafen von taschkent (...) inmitten der vip-lounge für die businessmen and -women dieser welt“.
Kathrin Röggla ist unübersehbar eine hochmoralische, politische Schriftstellerin, und nach ihrem sarkastischen Berlin-Lagebericht „Irres Wetter“, der statt Glamour eine prekäre Sozialstruktur entdeckt, und dem tieftraurigen McKinsey-Albtraum „wir schlafen nicht“, der alles Privatleben abschafft, prägen die Anschläge vom 11. September 2001 ihre neuen Prosatexte. Die Autorin hat die Katastrophe in New York unmittelbar miterlebt und versucht, in ihrem Tagebuch „really ground zero“ die rhetorischen und audiovisuellen Gesten des amerikanischen Fernsehens kühl zu betrachten – was fast unmöglich ist, weil sie, wie ihre Verfasserin selbst eingesteht, „ständig ins hysterische oder ins chauvinistische, paranoide“ umkippen. Für die Medien ist es letztlich unwichtig, was tatsächlich geschehen ist, deshalb spielen diese Geschichten jenseits der Katastrophe. Wirklich ist nur die Verstörung und Ratlosigkeit der Personen. Es ist ein poetisches und absurdes Kammerspiel, das hier geboten wird, in dem sich die Frage nach richtigem oder falschem Leben gar nicht mehr stellt angesichts der vielen apokalyptischen Bilder, die in unserem Gehirn gespeichert sind.
Nur in einer Geschichte („die wilde jagd“) gibt sich ein reales Ich zu erkennen, ein Entführungsopfer, das aber bezeichnenderweise schweigt. Die Journalisten und Nachbarn werden immer zudringlicher, beschimpfen das Mädchen als aggressiv und behaupten, es terrorisiere die Medien oder wolle gar Amok laufen. Böse und gewitzt spielen sie sich die Bälle zu, erfinden, was ihnen angeblich verschwiegen wird, und bringen mit ihrem Gerede Ungeheuerliches zum Vorschein: Die Zuschauer, nicht die Betroffene, definieren, wo Gewalt anfängt und wann sie aufhört – und sie bestehen auf ihrer Deutungsmacht. Ein traumatisierter Mensch wie Natascha Kampusch (auf deren Fall die Geschichte offensichtlich beruht) hat gegen die Wucht dieser Missachtung keine Chance.
Bis auf „die ansprechbare“, deren Erzählerin unglaubwürdig aufgedreht wirkt, funktionieren diese Erregungsmaschinchen großartig. Denn sie bestehen nicht nur aus Verdächtigungen und kruden Projektionen, sondern auch aus einer fast kindlichen Sehnsucht nach Gewissheit. „hat man jetzt überlebt?“ will eine ratlose Radiohörerin in der letzten Geschichte „deutschlandfunk“ wissen, und als niemand antwortet, fügt sie vorsichtig hinzu: „aber wir lassen uns die freude nicht kaputtmachen, die freude, dass es uns noch gibt.“ (Faz.net)