Normal Work
Ein Buch zu den Fotoarbeiten von Hannah Cullwick 1855 - 1902 und dem Film Normal Work von Pauline Boudry, Renate Lorenz, der sich mit den Fotoarbeiten von Hannah Cullwick beschäftigt.
Der Film „normal work” reinszeniert vier historische Fotografien der viktorianischen Hausangestellten Hannah Cullwick, auf denen diese Posen einnimmt, die verschiedene gesellschaftliche Positionen von Klasse, „Race” und Geschlecht durchqueren.
Hannah Cullwick putzte nicht nur von früh morgens bis spät abends in verschiedenen Haushalten, sondern sie produzierte auch eine Reihe erstaunlicher inszenierter Fotografien, umfangreiche Tagebücher und Briefe. Diese Materialien inszenieren ihre Stärke, ihre Muskeln und ihre schmutzigen großen Hände – Verkörperungen von „Männlichkeit”, die offensichtlich direkt mit ihren Arbeitspraxen verbunden waren und auf die sie sehr stolz war. Hannah Cullwicks Porträts und Selbstporträts, die sie nicht nur als Hausangestellte, sondern auch in „Class Drag” oder „Ethnic Drag” zeigen, waren Teil eines sadomasochistischen Verhältnisses, in das sie mit Arthur Munby, einem Mann der bürgerlichen Klasse, involviert war. Interessanterweise waren es Elemente ihrer harten Arbeit im Haushalt, die das Material für die gemeinsamen SM-Szenen abgaben. Die Arbeit, die Cullwick als Hausangestellte verrichtete, reinszenierte sie gemeinsam mit Munby bei ihren Treffen in seiner Wohnung: Sie putzte für ihn, wusch seine Füße, säuberte seine Schuhe oder leckte sie ab. Cullwick beschrieb sich als Sklavin Munbys, sie trug ein "slave band" am Handgelenk, das sie niemals ablegte, und am Hals eine Kette, zu der Munby den Schlüssel besaß. Sie nannte ihn „massa”, eine Bezeichnung, die wie „slave” auch auf die Realität Englands als Kolonialmacht verweist. Auf den Fotografien ist am rechten Handgelenk häufig ein schwarzes Band deutlich sichtbar, offensichtlich das „slave band”. Es befindet sich zentral fast in der Bildmitte, vermag aber die durchaus überzeugende Darstellung einer „maid of all work” oder einer bürgerlichen Frau nicht zu stören.
Im Film sieht man der Performer_in Werner Hirsch bei dem Versuch zu, die Posen Hannah Cullwicks möglichst genau nachzuahmen. Werner Hirsch/Hannah Cullwick orientiert sich an seiner/ihrer Erinnerung, an einem Spiegel oder einem „Vorbild”, das nicht im Bild ist, oder an Anweisungen, die ihm/ihr ebenfalls von außerhalb des Bildraums zugerufen werden. Indem im Film zwei unterschiedliche historische Momente (die viktorianische und die heutige Zeit) und zwei Orte des Sprechens aufeinander treffen, entstehen widersprüchliche Referenzen: Die historischen Fotografien werden mit dem Kontext gegenwärtiger Drag-Performances und Umarbeitungen von Zweigeschlechtlichkeit konfrontiert. Umgekehrt wird den zeitgenössischen Drag-Performances ein historischer Vorläufer beigestellt, in dem das Verhältnis von Sexualität und Arbeit verhandelt wurde. Diese doppelte Kontextualisierung wird durch zwei unterschiedliche „Dekore” unterstützt, die wie in einem Fotostudio als Hintergrund verwendet werden: Der eine greift eine Malerei des 19. Jahrhunderts auf, der andere eine zeitgenössische Fotografie von Del LaGrace Volcano (Daddy Boy Dykes). Inszeniert wird der Blick, der die Einordnung auf gesellschaftlichen Positionen der Hausangestellten, der Lady, des Gentleman oder des „Slave” anleitet, bzw. der eine produktive Umarbeitung erlaubt. Es wird der Prozess ausgestellt, der mittels einer wiederholten Kopie kulturell verfügbarer Bilder Individuen zu Subjekten macht und dabei vom wertschätzenden oder drohenden Blick einer Autorität begleitet wird.
Wenn die Performer_in/ Hannah Cullwick von unterschiedlichsten Arbeiten berichtet, die er/sie getan hat oder tun möchte, wird deutlich, dass die Durchquerung der gesellschaftlichen Positionen nicht nur eine ermächtigende Fantasie ist, sondern – insbesondere in der gegenwärtigen Diskussion um Arbeit – einen Aufwand bedeutet, der mit der Drohung verknüpft ist, diese Durchquerung nicht (mehr) leisten zu können. Der kontrollierende Blick wird hier allerdings vervielfältigt; die Performer_in/Hannah Cullwick blickt zurück in die Kamera und signalisiert damit eine Ebenbürtigkeit gegenüber der Kamerafrau/Betrachter_in; er/sie zeigt an, dass sie diese auch „sieht”. Die Filminstallation „normal work” fragt, ob sich die Durchquerung der sozialen Hierarchien von Klasse, Geschlecht und „Race”, die Hannah Cullwick inszenierte und die sie offenbar begehrte, heute im Feld der Arbeit als paradoxe Anforderung verallgemeinert hat.