Not Moscow Not Mecca
Kommunismus und Islam seien die zwei großen Erzählungen von Zentralasien, behaupten Slavs and Tatars und gehen sogar noch weiter: "Eigentlich sind Kommunismus und Islam die zwei wichtigsten geopolitischen Größen des 20. und 21. Jahrhunderts." Mit der Ausstellung Not Moscow Not Mecca im Grafischen Kabinett sowie mit einer Installation im Außenraum der Secession schreibt das 2006 gegründete Kollektiv die "Autobiografie" einer hierzulande nur wenig bekannten Region, die viele Namen trägt: von Zentralasien bis Chorasan, von Turkestan bis Ma Wara' al-Nahr – ein Ort, der auf Arabisch "das Land hinter dem Fluss" bedeutet.
Mit der Ausstellung, die in einen mehrteiligen Werkzyklus mit dem Titel The Faculty of Substitution eingebettet ist, gehen die KünstlerInnen dem Thema der Selbsterkenntnis im weitesten Sinne nach. "Substitution", so Slavs and Tatars über den Titel ihres neuen Zyklus, "bedeutet die nötige geistige Beweglichkeit, die Koordination und das Balancegefühl auszubilden, damit wir eine Geschichte durch eine andere erzählen können." Not Moscow Not Mecca lautet der Titel der Ausstellung in der Secession, weder, noch – stets auf der Suche nach einer Vergleichsbasis zwischen den Kulturen, zwischen Orient und Okzident, zwischen der Moderne und dem Islam, entdecken Slavs and Tatars Ähnlichkeiten im scheinbar Unvergleichbaren. Diese Gleichsetzungsprozesse führen zu einer Aneignung und Neuauslegung der Geschichte, die im Widerspruch zu den bekannten Erzählungen der Mächtigen und Siegreichen steht.
Einst als Lesekreis formiert, erfolgte die Gründung des Kollektivs Slavs and Tatars im Jahr 2006. Sie reisen, sie recherchieren, sie lebten wiederholt in Eurasien und werden diese Region auch in Zukunft bereisen und bewohnen. "Wir werden den Rest unseres Lebens dieser Region widmen, und den Enthusiasmus, den wir in uns tragen, wollen wir mit anderen teilen." Teilen, also Generosität ist eine zentrale Formel ihrer künstlerischen Arbeit. Humor sei großzügig, da er zum gemeinsamen Lachen führe, Gastfreundschaft und Weitergabe von Wissen auch.
Die Arbeiten von Slavs and Tatars weisen keine Berührungsängste auf: Sie vermischen Pop- und Hochkultur, Historisches und Aktuelles, Ebenen und Register, die als unvereinbar gelten: "Es geht darum, die Geschichte wiederzubeleben. Nur so können wir ihre Bedeutung an die Menschen herantragen, die unser Interesse an der Region und ihren Traditionen andernfalls für abstrus oder unerheblich halten würden. Wir verwenden das Wort Wiederbelebung ganz bewusst: Der sinnliche Gehalt, der darin liegt, einem Gegenstand Leben einzuhauchen (indem man, wenn man so will, seine Lippen auf den Mund des Forschungsgebietes drückt), verweist auf eine affektive Bindung zu einer Idee oder zu einem Text."
Not Moscow Not Mecca ist eine sinnliche, humorvolle und intellektuelle Ausstellung zugleich, und das wünschen sich Slavs and Tatars auch sein zu dürfen, selbst als KünstlerInnen: "Wir wollen glücklich und intellektuell zugleich sein."
KATALOG, 108 Seiten, Format: 230x310mm
Texte: Slavs and Tatars, Norman O. Brown, Interview mit Franz Thalmair
Deutsch/Englisch
http://www.secession.at/art/2012_slavs-and-tatars_d.html