Bitte Lebn. Urbane Kunst & Subkultur in Berlin 2003 - 2021
Ausgangspunkt dieser Arbeit ist der Frühling einer subkulturellen Bewegung im Umfeld ehemals besetzter Häuser, selbstverwalteter Projekte und ungenutzter Brachen im Zentrum Berlins. Eine Unzahl von Kollektiven ergriff die Gelegenheit, sich diese Räume anzueignen und sie jenseits der Spielregeln der kapitalistischen Marktwirtschaft zu nutzen. Eine seit Jahrzehnten gewachsene Graffiti-Szene traf sich mit Künstler*innen und Aktivist*innen aus aller Welt, um neue ästhetische Ausdrucksformen zu erfinden. Es folgte eine kreative Explosion in den Straßen.
An Oberflächen wie Wänden, Dächern, Verkehrsschildern, Sperrmüll oder Automaten entstanden unzählige Werke. Das Auskundschaften von leer stehenden Industrieanlagen, Hausdächern oder schwer zugänglichen Orten wurde zu einer Freizeitbeschäftigung. Mobile Soundsysteme eroberten mit Technopartys die Brachen und Parkanlagen. Urban Art wurde zum unübersehbaren Massenphänomen, als wäre ein Knoten geplatzt. Es war der euphorische Aufbruch einer Bewegung, von der einige glaubten, dass sie die Trennung zwischen Kunst und Alltagsleben auflösen und den öffentlichen Raum zu einem Gesamtkunstwerk umgestalten könnte. Werkstätten, Kiez- und Projektläden und andere Räume für nichtkommerzielle Kultur organisierten Veranstaltungen und Festivals, die zumindest eine Ahnung vermittelten, wie sich ein Leben nach dem Kapitalismus anfühlen könnte.
Die aneignerischen Praxen und Subkulturen laufen jedoch Gefahr, selbst zur Marke zu werden, zum Standortfaktor im Städtewettbewerb um die Gunst von Touristen, Investoren und Wirtschaftsunternehmen. 15 Jahre nach ihrem Aufblühen steht Urban Art vor der entscheidenden Fragestellung, wie sich der (sub-)kulturelle Aktivismus künftig verorten soll, wenn er seine Sprengkraft nicht einbüßen will.