Geospekulationen: Metaphysik für die Erde im Anthropozän
Was heißt es, im Anthropozän zu leben? In der Gegenwart einer Erde, deren Inventar – Biosphäre und Noosphäre – evolutionär produziert wurde und das sich in seiner Beschaffenheit als bestürzend nonkreationistisch erweist, offenbar gar nicht speziell für die Lebenden gemacht und häufig nicht gut für sie ist?
Es heißt, zugleich in kosmologischer, geologischer und evolutionärer Zeit zu leben und einzig und allein in der »unendlichen« Gegenwart der Erde, in der diese temporalen Modi überhaupt nur existieren: im Kippbild von atheistischer Transzendenz und terrestrischer Gegenwart.
Es heißt, nicht in einer Endzeit, sondern in der tiefen Vorzeit einer entfernten Zukunft zu leben, und also prähistorisch und sogar umso prähistorischer zu sein, je größer die Ereignisdichten und Innovationsraten der Kulturgeschichte werden.
Und es heißt Leben mit dem Nichtüberlebenden, in der auf Dauer gestellten mass extinctiondes frühen Anthropozäns.
Geospekulationen operiert interdisziplinär. Zwar entwickelt der Text einen Gedankengang, er lässt sich aber ebenso gut selektiv lesen – bspw. als geophilosophischer Kantkommentar oder zeitgenössische Naturphilosophie, als fanatisches Sterblichkeitstraktat, Einführung in die Theorie kultureller Evolution oder Impuls zur Wiederbelebung der evolutionären Erkenntnistheorie.
Geospekulationen ist jedoch vor allem eine »Metaphysik für die Erde im Anthropozän«. Geospekulationen stellt eine neue, explizit naturalistische und atheistische Metaphysik der Erde vor und ist zugleich ein Plädoyer für Metaphysik als Wissenschaft. Und es ist der Versuch, eine politische Metaphysik für die Erde im Anthropozän zu umreißen, der es gelänge, den Planeten dauerhaft in ein Museum des Holozäns zu verwandeln.