Charlottenburg
In seiner dritten Ausgabe widmet sich das Magazin "Berlin Haushoch" dem Bezirk Charlottenburg. Ein liebenswürdiger Blick auf das Symbol für Westberlin vor der Wende.
Diegos dunkle Knopfaugen schauen fordernd über die Schulter. Ein eitler Blick, wie es sich für ein echtes Model gehört. Der Königspudel mit dem schneeweißen Fell posiert mit schwarzer Vorderpfote. Ein Überbleibsel von vorangegangenem Vergnügen im Matsch. Trotzdem und gerade deswegen ist er Coverstar der neuen Ausgabe des Magazins Berlin Haushoch, in der sich alles um Charlottenburg dreht.
"Der Stadtteil ist voller Gegensätze, da passt ein weißer Köngspudel mit schmutzigen Pfoten perfekt auf den Titel", sagt Ana Lessing. Zusammen mit Esra Rotthoff und Alexandra Bald kümmert sie sich um Herausgabe, Gestaltung und Marketing des Magazins. "Charlottenburg" ist das dritte Heft nach Marzahn und Wedding, in dem ein Stadtteil Berlins neu ausgeleuchtet wird. Das Resultat, 176 Seiten Kontrastprogramm auf Hochglanzpapier, ist seit Freitag für 7 Euro in Läden und im Internet erhältlich.
Das erste Magazin, das den Bezirk Marzahn unter die Lupe nahm, entstand 2006. Mit eigenwilligen Fotostrecken wagten die drei damaligen Studentinnen für visuelle Kommunikation einen Blick hinter die Plattenfassade, räumten mit Vorurteilen auf und diverse Gestaltungspreise ab. Mittlerweile sind sie Meisterschülerinnen an der Universität der Künste. "Es war sehr spannend, die Kontraste von Charlottenburg zu entdecken", sagt Ana Lessing über das aktuelle Heft. "Auf der einen Straßenseite hast du ein Bordell, auf der anderen ein Kloster." Kein Zufall also, dass auf den Bericht über die Nonnen in Sankt Gabriel ein Interview mit "Playboy" Rolf Eden folgt.
Versehen mit einer persönlichen Note, widmet sich das Magazin dem Gegensatz zwischen Adelsfamilien und Straßenleben - Geschichte und Geschichten aus dem Stadtteil, der wie kaum einer anderer für das Westberlin vor der Wende steht: "Currywurst mit Schlagsahne", so eine Stimme in einer Umfrage.
"Alle Texte stammen von ausgewählten Journalisten", sagt Esra Rotthoff. Zwei von ihnen sind die taz-Reporterinnen Nina Apin und Waltraud Schwab. Daneben ist das Kunstobjekt mit extravaganten Fotografien und Grafiken gespickt. LeserInnen schauen wache Augen von Helfern der Bahnhofsmission am Zoo an, während das Heft ein paar Seiten weiter Einblick in klassisch eingerichtete Berliner Zimmer gewährt. "Bisher sind wir in jedem Stadtteil mit offenen Armen empfangen wurden. So war es auch in Charlottenburg", sagt Alexandra Bald und erhält Zustimmung von ihren Kolleginnen. Für das Märchen von Charlottenburg konnten sie sich selbst in Läden mit Familientradition in Szene setzen. "Wir wollen den Ort so zeigen, wie er ist. Dabei sind wir nur ein Objekt, beliebig austauschbar", sagt Bald mit einem Lächeln auf den Lippen. Zwischen Marzipan und Porzellan, geschmückt mit antiken Uhren oder rohen Currywürsten, entstanden Schnappschüsse, denen Charme nicht abzusprechen ist.
Bodenständig und mit Hochglanzglamour erscheint so die bisher umfangreichste Ausgabe des werbefreien Kiezmagazins, das mit 10.000 Exemplaren auch die bisher größte Auflage erreicht. Die Erlöse aus dem Non-Profit-Projekt sollen in das nächste Heft fließen. Genug haben die kreativen Köpfe nämlich noch nicht. "Natürlich streiten wir uns ab und zu, schließlich sind wir alle drei der Boss und diskutieren alles aus", sagt Esra Rotthoff lachend. "Das gibt eine schöne Dynamik im Projekt", sagt Ana Lessing, und Alexandra Bald fügt hinzu: "Eigentlich werden wir uns immer ähnlicher mit der Zeit." Gut jedenfalls, dass die Harmonie unter den Freundinnen noch stimmt.
Immerhin stehen weitere 20 Stadtteile zur Dokumentation aus. Um die alle zu realisieren, sollen erstmals Leute eingestellt werden. Doch bevor die Redaktion ihren Umzug nach Berlin-Mitte antritt, wird erst einmal gefeiert. Die Releaseparty in der Königlichen Porzellan-Manufaktur am Freitagabend ist gleichzeitig eine Vernissage. Gezeigt werden Bilder aus dem Printobjekt auf weißem Gold.
VON JUDITH NOACK. taz.de