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Henning Schmidgen. Hirn und Zeit. Die Geschichte eines Experiments 1800 - 1950

Buchpräsentation mit Henning Schmidgen, Siegfried Zielinski und Rebekka Ladewig

Die aktuellen Neurowissenschaften haben den Zusammenhang von Hirn und Zeit ins Zentrum der Forschung gerückt. Durch präzise Zeitmessungen wurde der Nachweis geführt, dass der bewusste Entschluss, eine Handlung auszuführen, sich erst einstellt, wenn das Gehirn diese Handlung bereits in Gang gesetzt hat. Demzufolge tun wir nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun – eine Auffassung, die erhebliche Konsequenzen für unsere Philosophie, unsere Rechtsprechung und unser Zusammenleben hat.
Doch diese Auffassung ist keineswegs neu. Tatsächlich wurden seit Anfang des 19. Jahrhunderts immer wieder Verfahren der Beschleunigung verwendet, um die Verspätung des Ichs gegenüber dem zerebralen Unbewussten zu vermessen und ins Bild zu setzen. Das zeigt sich, sobald die Geschichte der Hirnforschung mit einer Geschichte der Technik, der Medien und der Künste verbunden wird. Zugleich verdeutlicht sich, daß das Voranschreiten von Wissenschaft nicht beliebig akzeleriert werden kann. Es ist vom einmal eingeschlagenen Pfad der Untersuchung ebenso abhängig wie von dem durchaus variable Tempo, mit denen sich neue Methoden verbreiten.
Die Wirksamkeit des Historischen wird somit auch und gerade dort greifbar, wo es vermeintlich keine Rolle mehr spielt. Insofern steht die Geschichte des Hirn-Zeit-Experiments programmatisch für die Geschichte einer Moderne, die nie modern gewesen ist. Denn: „Die Neuheit des wissenschaftlich Neuen ist etwas anderes als die Kehrseite produktiven Vergessens.“
Henning Schmidgen ist Professor für Medientheorie an der Bauhaus Universität Weimar. Er war langjähriger Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, und hat zahlreiche Aufsätze in internationalen Zeitschriften wie Isis, Configurations, SubsTance und Grey Room veröffentlicht. Seine gegenwärtigen Forschungsschwerpunkte sind Medienwelten des Experiments, Maschinen-Kunst und Virtuelle Laboratorien. In deutscher Sprache erschien zuletzt "Bruno Latour zur Einführung" (2011, 2. Aufl. 2013).