Aktau. Bildphänomene einer Plattenbaustadt in der Kasachischen Steppe. Visuelle Kartografien im urbanen Raum
Studien aus Theorie und Praxis künstlerisch-wissenschaftlichen Forschens an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Band 1 ⁄ 2020 – herausgegeben von Hanne Loreck
Birgit Schlieps‘ künstlerisch-wissenschaftliche Recherche umkreist die südwestkasachische Stadt Aktau, von ihrer Konstruktion als Idealstadt in den 1960er Jahren bis hin zu aktuellen postsozialistischen urbanen Entwicklungen. Die verschiedenen bildlichen Erscheinungsformen der Plattenbaustadt in der Steppe lässt sie nicht nur die materielle und strukturelle Zusammensetzung der Stadt, sondern auch die der Bilder und den Prozess ihrer Produktion und die damit verbundene Wahrnehmung befragen.
The artist researches, and conducts a visual investigation into, the genesis of Aktau, southwestern Kazakhstan, from its inception in the 1960s as an ideal socialist city, to urban development in its current, post-socialist form. Various visual impressions of the town in the Steppe allow her to not only to examine the material and the structural composition of the city, but also to interrogate the images themselves and challenge her own perceptions during the creative process.
"Nach Kasachstan reiste ich zum ersten Mal im Jahr 2000. Initiation und Ausgangspunkt des Interesses war damals ein Foto zu einem Artikel auf der ›Seite Drei‹ der Süddeutschen Zeitung im April 1999. Der gesamte Artikel trug die dreiteilige Überschrift: »Der Untergang des Sozialismus: Es war einmal die Idealstadt Schewtschenko.
Tränen kann man nicht entsalzen. Zur Sowjetzeit erbauten Helden der Arbeit mitten in der Wüste ihre neue Welt mit Atomantrieb – nun verdorrt in Kasachstan ein Traum.« Eines der Fotos zeigt eine Ansicht aus den 1970er Jahren, deren Traumhaftigkeit mit folgender Bildunterschrift beschrieben wurde. »Alles war grün, es gab Springbrunnen, die Straßen waren morgens um sieben gereinigt: Schewtschenko, das heute Aktau heißt, in den siebziger Jahren.« Auf dem Foto war entlang einer begrünten Promenade zu beiden Seiten ein räumliches Ensemble ›modernistischer Architekturmodule‹ zu sehen, wie man sie von anderen europäischen Stadterweiterungen der 1960er Jahre kennt. Die Strukturierung der Promenade mit ornamentalen Pflanz- feldern und eine zeltartige, an die Form einer Jurte erinnernde, Betonüberdachung eines Gebäudeteils ließen darüber hinaus regionale Einflüsse in der Gestaltung vermuten. Meine Motivation für diese Reise war es, den Traum verstehen zu lernen und nachzuschauen, was aus ihm geworden ist.
Mit dem Medium der Fotografie versuchte ich den konzeptionellen Raum, der sich zwischen der Behauptung und der tatsächlichen Umsetzung eines Traums, seiner augenscheinlichen Zerstörung und seines Verfalls auftut, zu beschreiben und sichtbar zu machen…"