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Chris Kraus

Lesung

Chris Kraus is a filmmaker and an acclaimed author of the trilogy I Love Dick, Aliens & Anorexia, and Torpor. In addition to her fiction Chris has published a collection of essays centered around the Los Angeles art
world: Video Green: Los Angeles Art and the Triumph of Nothingness. She has written on art, poetics, and theory for academic anthologies and art magazines with contributions to Index Magazine, ArtForum, and The Nation. In 2001 she edited Hatred of Capitalism with Sylvère Lotringer; a collection of Semiotext(e)’s most beloved and prescient works. Kraus is also the founding editor of Semiotext(e)’s Native Agents imprint, which includes avant-garde fiction and non-fiction by American writers such as Kathy Acker, Cookie Mueller, David Rattray, Ann Rower, Michelle Tea, Eileen Myles, Eldon Garnet, Shulamith Firestone, Masha Tupitsyn and Mark Von Schlegell.
im Rahmen der Ausstellung:
Chris Kraus
Plastic is Leather, Fuck You: Film and Video 1983-1993
09. Mai - 14. Juni 2008
Eröffnung & Vortrag am Freitag, dem 09.05.2008 20:00 Uhr
Galerie Cinzia Friedlaender
Potsdamer Straße 105 10785 Berlin
www.galeriefriedlaender.de
taz, 15.05.2008:
Die Erfassung des Scheiterns
Extrem, biografisch, intellektuell: Die Filmemacherin, Autorin und Verlegerin Chris Kraus gab an zwei Abenden bei pro qm Auskunft über ihr literarisches und filmisches Werk. Letzteres wird in der neu eröffneten Galerie Cinzia Friedlaender vorgestellt
VON STEPHANIE WURSTER
Wie sie die gegenwärtige Situation in den USA sehe, wird Chris Kraus bei ihrer Lesung im Buchladen pro qm gefragt. Kraus, die gerade erzählt hat, dass sie an einem neuen Roman arbeitet, der "The Summer of Hate" heißt und in dem sie versucht, das Bush-Amerika "von innen zu verstehen", antwortet mit einer wahren Geschichte. Zwei Katzen wurden von ihrem Besitzer in der Wohnung zurückgelassen und machten, hungrig und verängstigt, nach zwei Tagen eine Menge Lärm. Die Polizei fuhr mit vier Einsatzwagen vor, scherte sich nicht um die Erklärungen der Anwohner und stürmte das Apartment. "Wisst ihr, so sehe ich Amerika", sagt Kraus, "eine Riesentruppe Polizisten, die mit entsicherten Maschinengewehren auf zwei kleine Katzen zielt." Hätte pro qm an diesem Abend den Anti-Bush-Roman schon dagehabt, dann wäre alle Exemplare sofort verkauft gewesen.
"Four more days of this to go", noch vier Tage das Ganze durchstehen, schreibt die Autorin, die auch Filmmacherin ist, am 19. Januar 1996 in ihr Tagebuch; unter ihrer Bettdecke, denn es ist saumäßig kalt in dem Schöneberger Apartment. Es gibt wohl kaum einen Text über Berlin zur Berlinale-Zeit, der bitterer ist. Kraus, die in Neuseeland geboren und aufgewachsen ist, aber seit langem in den USA wohnt, beschreibt in ihrem zweiten Roman "Aliens & Anorexia" das Ende ihrer Filmkarriere - das Scheitern ihres einzigen Spielfilms "Gravity & Grace", dessen zwei angesetzte Vorführungen auf der Berlinale kaum jemand besucht, der das Interesse keines Verleihs weckt, der seiner Macherin keine einzige Einladung zu den sagenhaften Berlinale-Partys einbringt. Warum auch? Die Künstlerin selbst beschreibt ihn als "an amateur intellectual's home video expanded to bulimic lenght" - das Homevideo einer Laien-Intellektuellen, auf abnorme Länge aufgeblasen.
Das harte Urteil kann man in der Galerie Cinzia Friedlaender jetzt selbst überprüfen. Mit "Plastic is Leather, Fuck You: Film und Video 1983-1993" wird nicht nur die Hinterhofgalerie von Friedlaender, die zuvor als Assistentin bei Daniel Buchholz in Köln gearbeitet hat, in der Potsdamer Straße eröffnet - als eine weitere Station der in den Westen verlagerten Kunstszene -, sondern auch Kraus als Filmemacherin das erste Mal überhaupt gewürdigt.
Unglaublich viel Energie muss Kraus in diese Kurzfilme gesteckt haben, nur um sie ein paar wenige Male außerhalb des Kunstkontextes aufzuführen. So speziell ihre Filme auch sind, in denen es um Antonin Artaud, um Dominas, Georges Bataille und fliegende Untertassen in Neuseeland geht, so schlecht auch die Kamera oder der Ton sind: Akribisch und mit Hingabe zusammengebastelt, sind sie wie getränkt von der intellektuellen Atmosphäre ihrer Zeit. Aber sie waren auch dafür zu eigen: Kraus erzählt, dass es in den 80ern im New Yorker Village zum einen den Punk-Kontext gab, in dem sie sich wohlfühlte, und zum andern eine hochintellektuelle Filmszene, die sie faszinierend fand. Zwischen diesen beiden Polen fanden ihre Filme, so war es ihr Eindruck, nie ihren Platz.
Ob sie einen Marktwert haben, wird sich zeigen. Jedenfalls wollten viele diese Eröffnung mit kommentierten Filmschnipseln erleben, darunter zahlreiche Exilamerikaner. "Es gibt eine ziemliche L.A.-Connection hier in Berlin", sagt sie später, "möglich, dass Berlin jetzt so wird, wie L.A. früher war." Keiner wagt es, sich vor die vollen Sitzreihen auf den Boden zu setzen, wozu die Künstlerin energisch einlädt: "So machen wir das in L.A.!" Kraus entschuldigt sich für die Sperrigkeit ihrer frühen Arbeiten, sie ist schwer zu verstehen, aber in ihrem Element, tanzt fast beim Erzählen. Sie glaube nicht an Talent, hat sie, die in ihren Büchern immer wieder von Scheitern und vorprogrammierter Erfolglosigkeit schreibt, vorher im Interview noch erzählt, "es gibt nur den Willen!".
Da Chris Kraus vor allem als Schriftstellerin und Kunstkritikerin arbeitet, ist noch ein zweiter Abend mit Lesungen im Buchladen pro qm angesetzt. Das Nachwendeberlin von 1991 ist der Hauptschauplatz von Kraus' jüngstem Roman "Torpor". Man kann darin einem amerikanischen Ehepaar - er ein Literaturprofessor und Holocaust-Überlebender, sie eine eher erfolglose Schriftstellerin und Filmemacherin - auf ihrer nomadischen Reise durch ein Europa auf der Suche nach einer neuen Weltordnung folgen und einer zwölfjährigen Ehe beim Scheitern zuschauen.
Es ist der erste Roman von Kraus, der mit mehr Abstand zu ihrer Biografie geschrieben ist, und doch erkennt man in Sylvie unschwer die Autorin und in Jerome Sylvère Lotringer, ihren langjährigen Lebensgefährten. Lotringer und Kraus sind gemeinsam mit Hedi El Kholti Herausgeber des Verlags Semiotext(e), dem US-amerikanischen Pendant zu Merve, in dem Theorie von Baudrillard, Negri, Deleuze oder Irigaray erscheint und in dessen Reihe "Native Agents" für einheimische Autoren auch Chris Kraus publiziert wird, die nomadische jüdische Neuseeländerin.
"Chris Kraus: Plastic is Leather, Fuck You: Film und Video 1983-1993" in der Galerie Cinzia Friedländer, Potsdamer Str. 105, Öffnungszeiten Do.-Sa. 14-18 Uhr, noch bis 14. Juni
taz, 02.06.2008:
Grammatik des Unmöglichen
Sie schreibt extrem biografisch und intellektuell, die US-Amerikanerin Chris Kraus. Derzeit sind ihre Filme in Berlin zu sehen. Ihr letzter Roman "Torpor" handelt von wurzellosen Kosmopoliten, die Anfang der 90er nach Berlin und Osteuropa kamen
VON JOSEF STRAU
Sylvie ist die Hauptfigur in "Torpor", dem neuesten Roman von Chris Kraus. Sylvie wünscht sich ein einfaches Leben. Nach einem Leben als enttäuschte, vielleicht nicht sehr produktive und zugleich nomadische Künstlerin müsste sie sich eigentlich erlauben können, in Zukunft eine andere zu sein, sich ein Leben zu wünschen, in dem von nun an die häuslichen Gegenstände alles zu bedeuten haben. In ihrer Vorstellungswelt, die bisher vor allem von Texten und Büchern geprägt war, ist der Gedanke an ein glückliches Zuhause zunächst vollkommen lächerlich, so lächerlich wie all die anderen, die ganz "normal" ihren häuslichen Manien folgen. Wirklich kompliziert wird es für Sylvie, als sie ihren Mann Jerome in ihre häuslichen Pläne einbauen möchte. Beide Figuren sind, was Chris Kraus, trotz ihrer unterschiedlichen Sozialisierung, als "wurzellose Kosmopoliten" bezeichnet. Sylvie und Jerome sind die Pseudonyme für das reale "Paar" Chris Kraus und Sylvère Lotringer, Kunstkritiker und Verleger von Semiotext(e) in den USA und namensgleich mit den Hauptfiguren von "Die Dinge. Eine Geschichte der sechziger Jahre", dem Roman von Georges Perec aus dem Jahre 1965.
Lotringer und Perec waren zwei der vielen sogenannten "Versteckten Kinder" jüdischer Familien während der Naziverfolgung in oder bei Paris. Sie konnten über mehrere Jahre nur in engen Verstecken überleben, nachdem ihre Familien verschwunden oder ermordet waren. Lotringer und Perec trafen sich nach der Befreiung in der Schule und gründeten zusammen mit einigen anderen ehemaligen Versteckten die Zeitschrift "La Ligne Générale".
Wie Chris Kraus erzählt, waren sie dann ein paar Jahre später "ein Haufen wirklich brillanter, sarkastischer jüdischer junger Männer". Nur, sie konnten nie über ihre Erfahrung sprechen, auch nicht miteinander. "Sie hassten den damals herrschenden Humanismus, bevorzugten eine absurdistische, kitschige, sarkastische Zuwendung zur Populärkultur. Sie wirkten wie Punks im Vergleich zu den Hippies de Beauvoir und Sartre und ihren Anhängern." Perec versuchte später Bücher über Dinge ohne Erinnerung zu schreiben.
Die Stimmung im Umfeld von "La Ligne Générale" ist im weitesten Sinne beatnikhaft - ausbrechen, nichts werden wollen mit dem Ziel, Freunde zu finden, um alle ihre Ideen gemeinsam zu verarbeiten oder ihr Scheitern, ihre Relativität zu beobachten, um den vorgegebenen Diskurs zu brechen, um die verdrängte oder die versteckte Erzählung zum Sprechen zu bringen. Perec war nicht einfach gegen die herrschenden Regeln: Wenn der Text zu sehr von Regeln und Verboten bestimmt wird, um anerkannt zu werden, ist es besser, selbst neue strenge Regeln hinzuzufügen, den Text, sich selbst, mit neuen Zwängen zu tyrannisieren.
In "Torpor" erzählt Chris Kraus von Lotringer während des Jahres 1991. Perec erscheint als Echo in der "Torpor"-Grammatik, in der die Vergangenheitsform in die Form des zukünftigen Konditionalsatzes transformiert wird. Sie bewertet diese grammatische Vertauschungsmethode als einen Versuch, die für die "Versteckten" mit Schrecken besetzte Vergangenheit zu umgehen, sie wird in "Torpor" speziell dann eingesetzt, wenn es darum geht, die Schwierigkeiten Jeromes zu beschreiben, gegenwärtige Situationen im Verhältnis zu seiner Erinnerung zu adaptieren. Für Chris Kraus wird für ihn, der von sich sagt, er hätte keine oder vielleicht nur 10 Kindheitserinnerungen, unter diesen Bedingungen zum Beispiel das "They would have liked to be rich" zur Grammatik des von vornherein Unmöglichen.
Der nach 2000 geschriebene Roman handelt im Jahre von Desert Storm, dem Beginn einer sogenannten neuen Weltordnung, auch dem Beginn neonationalistischer oder neokonservativer Kulturen. Vor diesem Zeithintergrund beschreibt sie das zeitgemäße neue Ziel der Hauptfigur Sylvie, sich nicht nur in ihrem gemeinsamen Leben die Welt der häuslichen Gegenstände neu anzueignen, sondern auch Jerome auf der Reise 1991 nach Berlin und Osteuropa dazu zu bewegen, seine Kindheitserfahrungen zum Sprechen, ihn zum Schreiben zu bringen und seine Nichtproduktivität zu überwinden.
Nicht nur Jerome, dem Professor der Columbia University, dem Herausgeber und Theoretiker, dem Verleger eines New Yorker Theorieverlags, auch Sylvie, der Videokünstlerin, will und wird die Häuslichkeit nicht gelingen. Der einzige einigermaßen funktionierende Gegenstand, Vermittler vom alten Nomadismus zur neuen Häuslichkeit ist ihr Hund Lily.
Jerome trifft die ehemaligen DDR-Intellektuellen in ihren alten Häusern, versucht möglichst neue literarische Projekte zu diskutieren. Sylvie muss sich als Frau und Nichtakademikerin möglichst zurückhalten und erklärt in der Folge die mögliche Adoption eines rumänischen Kindes zu dem zentralen Ziel dieser Europareise. Die Erzählungen und Bilder aus der Holocaustvergangenheit überschneiden die Gegenwart. Die Beschreibung der Gegenwart 1991, die Beschreibung der gerade beginnenden Restaurierung der Städte, das neue Bemühen um ihre Domestizierung oder die private Suche Sylvies nach dem eigenen Zuhause, wird oft mitten im Satz unterbrochen und stattdessen die Ereignisse der Vergangenheit erzählt. Diese Unterbrechung der Gegenwart geschieht auch als Folge der Erfahrung der Ostöffnung, als Folge der fast physisch-empirischen Rückkehr in die Zeit des Holocausts, wegen der Konfrontation mit jahrzehntelang stillgelegten Orten und den alltagskulturellen Gepflogenheiten in Osteuropa.
"Torpor" gelingt es, verschiedene Vergangenheiten in die Realität der Gegenwart zusammenzuführen. Bekanntermaßen ist aber gerade das, was zehn Jahre zurückliegt, verglichen mit allen früheren Vergangenheiten formal am kompliziertesten wiederzugeben. Die Darstellung kultureller Moden von vor zehn Jahren ist für die Beteiligten meist peinlich, unangenehm, weil eigentlich gerade überwunden, will man an ihre spezifischen Figuren nicht erinnert werden. Sie liegen im toten Winkel des Kulturrückspiegels. Chris Kraus ist Spezialistin in der Aneignung von unangenehmen, problematischen, literarischen Prozessen und Methoden. Nicht nur "Torpor", vor allem ihr erster Roman "I love Dick" ist in weiten Teilen "confessional". Der Text zu ihrer Ausstellung in der Berliner Galerie Cinzia Friedlaender wirkt wie ein gekürztes Interview, allerdings ohne Fragen, wie eine Verteidigung, als hätte man sie zum hundertsten Mal wieder gefragt: "Denken Sie, dass Ihre Romane auch als Geständnisse, als persönliche Beichte, als confessions zu verstehen sind?" Confessions sind aber für sie die simpelste literarische Form, natürlich auch beinahe die dümmste.
Ihr erster Romantext, "I love Dick", ist ein Konfessionstext, auch Briefroman. Man wird kaum jemanden finden, der ähnlich wie Chris Kraus zugleich kritisch gesellschaftlichen Bedingungen sich widersetzt, als Ausweg aber auch scheinbar "subjektivistische" oder traditionelle Erzählungsformen sich aneignet - eben wie in der Form des "confessiontext", allerdings ohne die "billige kathartische Agenda zu reproduzieren", die den Lebensbeichten oft immanent ist. Wer ist dieses "ich" im Text und zu wem spricht es? Das ist eine Frage, die nach Chris Kraus jeden Schreiber umtreiben müsste. Bedingung für den, der zur Gegenwart auch über den Umweg der Vergangenheit Stellung nimmt.
Das Feld ihrer Kritik ist der Neotraditionalismus. Während die Kritik am Neokonservativismus sich zumeist auf die Dialektik der Kritik und Verurteilung der anderen beschränkt, den Autor dieser Verurteilung aber im Dunkeln lässt, produziert sich der Text ihrer Kritik am Selbstzweifel, ideen- und verhaltensmäßig, er verfolgt autobiografisch in rücksichtsloser Selbstreflexivität die eigenen Verwandlungen wie die Bedingungen für die sich verändernden Wünsche. Warum aber ist diese Funktion "ich" trotzdem für viele so schwer zu akzeptieren, obwohl so entscheidend für einen Schreiber, eine Schreiberin, die versucht, "Wahrhaftigkeit", wie sie es nennt, zu praktizieren? "Wahrhaftigkeit" ist auch der Begriff, der die Abgrenzung zur Konfession definieren sollte, um sich zu distanzieren, wenn wieder einmal ihre Texte als bloß "ehrlich" beschrieben werden. Das gilt für sie in Bezug auf literarische als auch kunstkritische Texte. Chris Kraus mochte auch Bob Dylans "Chronicles", und darin steht geschrieben: "Don't try to be professional, try to be confessional."
Über Semiotext(e) in den USA ist "Torpor" erhältlich. Die Berliner Galerie C. Friedlaender zeigt bis 14. 6. Kraus-Filme: "Plastic is Leather, Fuck You"