Tristesse Royale
Lesung mit den Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg, Benjamin von Stuckrad-Barre
Lange Lesung aus dem leider inzwischen vergriffenen Großwerk. Die Autoren Bessing, Kracht, Dr. Nickel, Graf Schönburg und von Stuckrad-Barre berichten von ihrer unfreiwilligen Schleichfahrt in die Hölle unserer Tage.
Interview mit Joachim Bessing, Herausgeber von "Tristesse Royale" von Nikolaus Till Stemmer, 11/1999:
> Herr Bessing, Sie und Ihre Freunde firmieren als das popkulturelle Quintett. Ist die Koketterie mit dem literarischen Quartett gewollt?
Nein, das Buch sollte ursprünglich “Platinum Egoiste" heißen, und da gab es auch den Untertitel nicht. Das Problem war nur, daß die Firma Chanel die Verwendung des Namens gerichtlich untersagt hat. Dieser Name ist weltweit geschützt für das Parfum, und auch meine Intervention bei Herrn Lagerfeld änderte daran nichts.
> Wie kam das Buch zustande?
Ich wurde vom Verlag gebeten, einen Vorschlag für ein Buch zu machen, das sich an eine junge Leserschaft richtet. Also schlug ich den Gesprächsband vor. Es ist ein solcher Irrsinn, was die Leute in meinem Alter heutzutage beschäftigt, daß ich dachte, es könnte höchst unterhaltsam sein, ein solches typisches Gespräch unserer Zeit einmal abzubilden. Unterhaltsam und traurig.
> Die Kritiken des Buches sind wohlmeinend bis entsetzt. Wenn ein Rezensent dem popkulturellen Quintett das Lob machen würde, ein treffendes Generationsporträt geschaffen zu haben, wären Sie geschmeichelt?
Wir wollten uns auf keinen Fall zu Sprechern einer Generation machen. Ich persönlich kann mich für die meisten Leute meines Alters überhaupt nicht einsetzen, weil ich finde, daß sie einen bescheuerten Lebenswandel und bescheuerte Ziele haben und total korrumpiert sind, bis hin zu ihrem Sexualverhalten. Das Buch sollte eine Art Spiegel sein, eine Reflexion der Oberfläche. Entweder, weil wir es nicht anders können oder nicht anders wollen.
> Trotzdem analysieren Sie ja auch...
Ja, es geht vor allem um die Feststellung einer Perspektive, nämlich die, daß es keine Perspektive gibt. Es gibt keinen Pessimismus, keine Angst vor dem Millenium, sondern nur einfach ein Ratlosigkeit, die da heißt: Weiß auch nicht, was man da machen soll. Und trotzdem: Ich kann diese Generation nicht wirklich analysieren, weil ich sie nicht richtig sehe. Es gibt keine Love-Parade-Generation. Es gibt vielleicht Ereignisse, bei denen sich gleichaltrige Leute treffen.
> Machen Sie sich denn gar keine Gedanken, wie die von Ihnen beschriebene Entwicklung des wohlstandsverwahrlosten, gelangweilten deutschen Entertainment-Volks endet. Möglicherweise mit einer Art Apokalypse?
Gerade eben nicht apokalyptisch. Es wird überhaupt keine Lösung geben, nicht einmal eine so banale wie Weltkrieg. Das ist auch genau das, was mich beunruhigt und mich dazu gebracht hat, dieses Buch zu veröffentlichen. Es wird weitergehen mit der Vereinzelung, mit der Zersplitterung der Gesellschaft in immer kleinere Interessensgruppen, die alle für sich unglücklich sind. Am Ende steht kollektive Verzweiflung.
> Neu ist diese Vision ja nicht. Weshalb denn noch dieses Buch?
Ich glaube einfach, es ist wichtig, das einmal aufzuschreiben, in einer ansprechenden Form. So daß man es wirklich lesen möchte und nicht den Eindruck hat, daß sich der Chefredakteur des Stern wieder einmal eine Wahnsinns-Geschichte ausgedacht hat.
> Ironie spielt eine große Rolle in Ihrem Buch, und zwar eine durch und durch negative. Inwiefern steht das Ironische für die üblen Zustände unserer Gesellschaft?
Ironie macht krank. Leute wie Andreas Türck sind doch Protagonisten des großen Flirts mit dem Untergang. Der hätte sich doch früher noch nicht einmal als Zuschauer in die Nähe eines Fernsehstudios gewagt. Dieses ständige Augenzwinkern um uns herum, in der Werbung, im Fernsehen, das führt zur Abschottung der Zuschauer in Enklaven, zur Verkümmerung. Die Leute fühlen sich schließlich gar nicht mehr zugehörig zur Gesellschaft, was unfair ist. Denn es gibt ja die Möglichkeit einer Gesellschaft, hier und überall auf der Welt.
> Stellt denn Ihre Kritik der Ironie nicht selbst ein Fall von Ironie dar, und zwar ein ziemlich kalkulierter?
Ich versuche, möglichst unironisch zu sein, aber es wird mir meistens als Ironie ausgelegt. Daß wir uns abkapseln, stimmt wohl. Im Widerschein muß das dann wohl wie besonders schlimme Ironie aussehen. Aber in dem Moment bist du eben ein ganz, ganz glattpolierter Spiegel der dich umgebenden Verhältnisse. Wir können eben nur das wiedergeben. Die Ironie ist keinesfalls Absicht. Man will sich bloß davor schützen, und wird dadurch nur noch schlimmer . Ich glaube, es gibt keine andere Möglichkeit zur Zeit.
> Was wäre denn das Gegenmittel zum Ironischen?
Das haben wir ja versucht, in unserem Gespräch zu finden: Spiritualität, Pseudonyme, die Berufe zu wechseln, kosmetische Chirurgie, sich allem komplett zu entziehen.
> Im Buch heißt es: Rocker werden oder Verschwinden...
Genau. Fragen Sie einmal Christian Kracht, warum er in Bangkok lebt. Das Fluchtartige mag ich persönlich nicht. Ich möchte ja zu etwas dazugehören.
> Ihr Freund Christian Kracht hat ihren Männerbund einmal als feige Popper bezeichnet. Stört sie das?
Nein, wieso. Es ist ja gar nicht schlimm, ein feiger Popper zu sein. Wie Christian Kracht habe ich auch Wurzeln in der Whimp-Kultur, also Parka tragen, The Smiths hören, Scheitel aus der Stirn stupsend irgendwo rumstehen und kein Mädchen abkriegen – oder eben alle. Das ist ein Teil unserer Vergangenheit. Heutzutage haben wir Button-down-Hemden, fünf Kugelschreiber in der Brusttasche, einer davon ausgelaufen, und stehen auf einer Party rum, wo alle halbnackt sind und Ecstasy nehmen.
> Am wenigsten scheinen Sie sich mit den Intellektuellen arrangieren zu können. Die Abneigung des Quintetts gegenüber deutschen Pop-Theoretikern ist augenfällig. Ägert es sie, daß die Debatte über Pop hier so kopflastig ist?
Nein, ägern tut mich das nicht. Ich finde Organe wie Spex nur ziemlich unlustig. Diederich Diederichsen ist ein Markenname. Die Zeitschrift war früher für mich wichtig, weil ich auf dem Land lebte, und die Musik, um die es damals ging, gab es dort nicht. Also mußte ich darüber lesen.
> Welches Verhältnis hat denn die Gruppe zu politischen Positionen?
Ich kann nur für mich reden. Ich war früher wirklich vollkommen unpolitisch, es ging um Ausgehen, Anziehen, Disco. Dann gab es die Ausschreitungen gegen das Asylantenheim in Rostock-Lichtenhagen. Damals forderte die Spex-Fraktion, aber auch Leute wie Günter Jacobs in Hamburg, eine Politisierung, die schließlich auch in meinen Freundeskreis eingesickert ist. Es gab dann Wohlfahrtsauschüsse, beispielsweise fuhr der gesamte Hamburger Pudel-Club in den Osten, um dort Ragamuffin aufzulegen, weil das ja bekanntlich den Menschen politisch Bewußtsein beibringt. “Move your ass, and your mind will follow", hieß es damals immer. Für mich war das unangenehm und unerfreulich. Um mich herum wurde der Druck, permanent links sein zu müssen, dermaßen stark, daß ich ihn als Terror empfunden habe. Als Terror ohne Sinn. Glücklicherweise war das alles plötzlich vorbei, die Goldenen Zitronen haben dazu noch eine Platte aufgenommen. Und ich war wirklich heilfroh, nicht mehr in der Bar stehen und über die Möglichkeiten antifaschistischer Flyer-Produktion diskutieren zu müssen. Das ganz war doch nur noch ein Haltung.
> Und heute?
Das Maximale, was ich an Politik liefern kann, ist dieses Buch – ohne unbedingt erklären zu können, was ich daran für politisch halte.
> Welche Bücher, außer ihrem eigenen, interessieren Sie sonst noch?
Bret Easton Ellis1 Glamorama und Michel Houellebecqs Elementarteilchen. Ich sehe im Moment einen gemeinsamen Gesprächstext dieser Bücher mit meinem eigenen. Alle drei zeigen, wie das, was dem Menschen noch Glück bringen kann – Sex, Liebe, Natur etc. – verschoben worden ist in Bilder. Diese Bilder sind aufpoliert und unerreichbar, sie halten ihn gefangen wie einen Käfig-Chinchilla. Die Welten, die uns zur Selbstverwirklichung angeboten werden, sind in Wirklichkeit nichts anderes als Kastrationswelten, in deren Innerem man sich vollkommen zugrunde richtet.
> In Berlin finden zwei Lesungen an zwei verschiedenen Orten statt, einmal in der Charlottenburger Bar jeder Vernunft, einmal im Themen-Buchladen "Pro qm" in Mitte. Auf welche Lesung freuen sie sich mehr?
Auf die letztere. Weil mir die Buchhändler erzählten, daß uns einige Leute die Fressen polieren wollen. Ich tue mir ein bißchen schwer mit der Rolle des Entertainers, Benjamin von Stuckrad Barre kann das besser. Ich möchte als Schriftsteller ernstgenommen werden. In der Bar jeder Vernunft werden wir als Kabarettisten auftreten, die Auseinandersetzung mit dem Buch findet in der Buchhandlung statt, da bin ich mir sicher.